Zurück zum Bandsalat


Analoge Tonträger sind wieder gefragt. Dass Schallplatten boomen, hört man inzwischen oft. Was kaum einer weiß:
Auch die Tonband-Kassette erlebt ein Revival. Sie ist sperrig. Das Vorspulen dauert ewig. Songs überspringen geht gar nicht. Das umständliche Prozedere wird stets von der Furcht vor Bandsalat begleitet: also, dass man den Bleistift zücken und das dünne Magnetband mühsam aufrollen muss. Die Rede ist von der Musikkassette, erfunden 1963 vom Unternehmen Philips. 60 Jahre alt wird sie dieses Jahr. Zu seinem runden Geburtstag erlebt der antike Tonträger gerade sein Revival.
Bei vielen Onlinehändlern für Secondhandangebote haben sich die Kassettenverkäufe mehr als verdoppelt. Retro ist in. Schallplatten und neonfarbene Trainerjacken haben die Popkultur zum zweiten Mal im Sturm erobert. Kassetten und Walkman – das kleine, tragbare Gerät, das sie abspielt – treten immer wieder in Filmen und Serien auf, etwa im Kinoschlager «Guardians of the Galaxy» oder in der beliebten Netflix-Serie «Stranger Things».


Teure Geräte
Die Preise für Modelle, die noch funktionieren, steigen in schwindelerregende Höhen – je nach Zustand und Zubehör über 2000 Euro. Durchschnittspreis: 120 Euro. Wenn der Spieler frisch aus dem Service kommt, liegt der Preis meist noch deutlich höher. Weniger kultige Player ohne Garantie kosten immerhin noch um die 50 Euro. Dass die historischen Gerätschaften derart gesucht sind, ist kein Zufall. Will man guten Sound aus einer Kassette kitzeln, braucht man einen guten Spieler. Dann übertreffen Kassetten sogar die Wiedergabequalität von einfachen Streamingdiensten wie Spotify
Der Walkman von Sony, einst der Goldstandard für portable Kassettenspieler, wird seit 2010 nicht mehr hergestellt. Die hochwertigen Abspielmechaniken von früher sind kaum mehr erhältlich.


Bands von heute auf Tonträgern von gestern
Wer sich für Kassetten interessiert, ist nicht auf alte Alben angewiesen. Die Band Rammstein etwa wird die kürzlich angekündigte Jubiläums-Edition ihres Bestsellers «Sehnsucht» auf Audiokassette veröffentlichen. Der Schweizer Dancehall-Künstler Stereo Luchs gab die letzten beiden Alben auf Kassette
heraus. An einem Zürcher Hardcore-Konzert im April boten drei von vier Bands ihr Album ausschließlich auf Kassette an.

Die Streamingdienste allerdings müssen sich keine Sorgen machen: Kassetten nehmen weiterhin deutlich weniger als ein Prozent des gesamten Musikmarkts ein. Aber wenn es so weitergeht, wird der Vintage-Tonträger seinen nächsten runden Geburtstag sicher noch erleben – mit vielen neuen Fans.


Thomas Müller