Wie die Westmusik ins Ostradio kam

Ein Kapitel Rundfunkgeschichte

 

Trotz aller Indoktrinierung seit frühester Kindheit: Die Jugend der

DDR - und nicht nur die - hörte gerne Musik aus kapitalistischen

Ländern. Die sozialistischen Radiosender durften sie auch spielen.

Aber die Redakteure mussten sich dafür Einiges einfallen lassen.

Ob Michael Jackson oder Peter Maffay: Musik vom „Klassenfeind“

war in der DDR ganz offiziell in den staatlichen Radiosendern zu

hören. Aber die Einfuhr von Schallplatten aus dem Westen war verboten.

Auf welchen Kanälen gelangten die Songs von der anderen

Seite der Mauer dann aber in die DDR-Rundfunkstudios?

Der Radioredakteur Wolfgang Martin, einst Leiter der Musikredaktion

von Jugendradio DT 64, beschreibt die verschiedenen, teils illegalen

und nicht ungefährlichen Wege - in seinem Buch „Wie die

Westmusik ins Ostradio kam“.

Lange galt in der DDR: Im Radio und auch auf der Tanzfläche

musste 60 Prozent der Musik aus sozialistischen Ländern stammen

- aber 40 Prozent der Songs durften von Musikern aus dem „NSW“,

also dem Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, kommen. Ein

Grund für diese Öffnung: Die jungen Leute in der DDR sollten nicht

zum West-Radio gedrängt werden.

 

West-Platten offiziell gekauft

Ein „vertrauenswürdiger“ Abteilungsleiter beim DDR-Radio durfte

daher für einen „nicht sehr hohen Devisen-Betrag“ auf Schallplatten-

Shoppingtour in West-Berlin gehen, wie Martin beschreibt.

Leichter war es, in Ungarn und in der ?SSR Alben von Musikern

aus dem „kapitalistischen Ausland“ zu kaufen. Aber, so Martin: „Es

gab dann manchmal technische Probleme, weil es sich um Pressungen

aus Indien handelte, die eine sehr viel schlechtere Tonqualität

aufwiesen als die Originale.“

Die DDR-Radiomacher durften auch Musik mit vielen Sendern anderer

Staaten austauschen, etwa aus Griechenland, Italien und Spanien.

Im Gegenzug erhielten die westlichen Sender die jeweils aktuellen

Pop- und Rock-Hits aus der DDR. Auch manch Promoter aus

dem Westen brachte bei Treffen mit Bands und Radio-Redakteuren

aktuelle Platten mit in die DDR.

Doch all das reichte noch nicht, um den Hörern genügend Musik

aus dem Westen anbieten zu können. So probierte Martin einige

illegale Methoden aus, wie er beschreibt: „Mein erstes Opfer war

meine Oma, die als Rentnerin schon in den 1960er Jahren legal

nach "drüben" reisen durfte“, schildert er.

Aus Angst vor dem Zoll lehnte die Oma den Wunsch ihres Enkels,

ihm statt Schokolade Schallplatten mitzubringen, erst vehement ab.

Doch dann brachte sie zwei Singles mit. „Erst viele Jahre später erzählte

sie mir, wo sie die beiden Singles versteckt hatte, nämlich in

ihrer Bluse, am BH. Dabei hatten die Zöllner nicht einmal ihren

Koffer kontrolliert“, berichtet der Enkel.

Mehrmals habe er sich dann noch mit professionellen Platten-Dealern

eingelassen. „Von einem der Westberliner Plattendealer, die

sich (in der Nähe vom Bahnhof Friedrichstraße) versteckt in Ecken

aufhielten, kaufte ich meine erste original Westschallplatte, für damals

sagenhafte 50 oder sogar 60 DDR-Mark.“ Es war eine LP der

Tremeloes.

 

Kontakt zum RIAS

Später freundete sich Martin mit dem Kollegen Olaf Leitner

vom RIAS an; „was als persönliche und höchst gefährliche Berührung

mit dem Klassenfeind galt“. Leitner schrieb nicht nur ein Buch

über die Rockszene der DDR, in dem die Musikredakteure in Ost-

Berlin oft nachschlugen. Er gab Musikern aus dem Osten auch oft

Schallplatten für Martin mit.Frank Schöbel, einer dieser Boten,

schreibt in seiner Autobiografie: „Eigentlich war ich sowas wie ein

kleiner musikalischer Ost-West-Briefkasten.“ Wolfgang Martin

habe ihm Schallplatten etwa von den Puhdys, Karat und Silly für

den West-Kollegen mitgegeben - und er habe dann Platten von Leitner

in den Osten mitgenommen, „meist englisch-amerikanische Produkte.“

Manchmal bekam Martin solche Alben auch von den Musikern direkt:

Er interviewte zahlreiche West-Stars. Und er erlebte so Einiges

bei den Treffen. Die vier Musiker von Abba etwa hätten 1974 bei

einem Abendessen Berliner Eisbein mit Sauerkraut „mit sichtlicher

Freude und Genuss“ verspeist, schreibt er.

 

dpa/dpa